Corona bedeutet Hunger – die Nahrungsmittelhilfe der Damas


„Wir bringen das Essen direkt dorthin, wo die Not zur Zeit am größten ist“, sagt Carolin Haist, Präsidentin der Damas Alemanas. „Bei den großen Hilfsorganisationen fällt zu viel an Verwaltungskosten an, und die Gefahr von Korruption ist einfach zu groß“,  fährt sie fort und betätigt den Blinker ihres Autos. Der Wagen ist einer von dreien, die auf den großen Parkplatz des Gran Aki Supermarkts im Städtchen Tumbaco bei Quito einbiegen. Zum neunten Mal sind sie heute hier. Das erste Mal war Anfang Juni 2020. Nun ist Oktober. Sieben Monate Corona, sieben Monate Wirtschaftskrise in Ecuador, sieben Monate Hunger. Rund ein Zehntel der Bevölkerung ist zum Überleben inzwischen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Einkaufen für die Armen: Günstig und sicher muss es sein

„Wir könnten auch auf lokalen Märkten einkaufen“, erklärt Sandra Biebeler, Mitglied im Vorstand der Damas Alemanas. Aber das ist aufwendig und riskant, weil dort viele Menschen aus den ärmeren Stadtvierteln einkaufen, wo Corona besonders verbreitet ist. Hier im AKI gibt es ein großes Angebot angemessenen Preisen, und mit Abstandsmöglichkeiten zu den übrigen Kunden“, sagt sie und blickt hinüber zu den anderen Damas. Vier sind zum Einkaufen gekommen. Heute sollen wieder 30 Kisten mit Lebensmitteln gefüllt werden. Wie jedes Mal, alle zwei Wochen.

Eine Lebensmittelkiste enthält nicht nur Konserven, sondern auch viele frische Lebensmittel. Foto © Regina Schimmele

Der Gran Aki Supermarkt ist vergleichbar mit einem Aldi in Deutschland. Er hat breite Gänge und alles, was eine Familie an Nahrungsmitteln braucht. Es riecht penetrant nach Desinfektionsmittel – Alkohol und Chlor sind wie die omnipräsenten Fieberthermometer zu ständigen Begleitern der Corona-Pandemie geworden.

Die Damas Alemanas tätigen die Einkäufe für die Lebensmittelkisten im Gran Aki Supermarkt in Tumbaco.
Die Damas Alemanas tätigen die Einkäufe für die Lebensmittelkisten im Gran Aki Supermarkt in Tumbaco.
Foto © Regina Schimmele

„Die weißen Fahnen wurden mehr und mehr.“

„In Lateinamerika hängen Menschen, die kein Essen mehr haben, eine weiße Fahne aus dem Fenster. Dann weiß jeder Nachbar, dass hier Hilfe gebraucht wird, und stellt etwas vor die Tür“, erklärt Carolin Haist. Die weißen Fahnen wurden Mitte des Jahres vor allem im historischen Zentrum von Quito und in den südlichen Stadtbezirken immer häufiger. „Als monatelang Ausgangssperre herrschte, konnten die „informales“, die Straßenverkäufer, nicht arbeiten.  Aber das sind 50% der Bevölkerung!“, erklärt sie weiter und überprüft währenddessen die vollgepackten Einkaufswagen. Beatriz Schlenker, Vizepräsidentin der Damas, schickt jeweils drei Tage vor der Packaktion eine Liste mit den benötigten Lebensmitteln: Reis, Bohnen, Quinoa, aber auch frische Lebensmittel wie grüne Bananen oder Baumtomaten, außerdem Seife und Alkohol stehen auf dieser Liste.

Während drei Damas und fünf Supermarkt-Mitarbeiter die Einkaufswagen voller Lebensmittel zu den Autos bringen, zahlt Carolin Haist die knapp 1.000 Dollar mit einem Scheck. Der 600 Kilogramm schwere Einkauf findet in Windeseile seinen Weg in die Kofferräume. Genau wie dreißig Bananenkisten, die ein Mitarbeiter noch aus dem Lager holt. Eine halbe Stunde ist vergangen, und die drei Autos sind wieder auf dem Weg. Sie biegen in die Straße ein, an deren Ende das Haus von Beatriz Schlenker steht. Wie fast überall in Ecuador ist es von hohen Mauern und einem Stahltor geschützt. Langsam öffnet es sich,  und der Blick auf einen großen Innenhof wird frei. Nun läuft es wie am Fließband. Erst Ausladen. Dann kümmert sich jede Dama um eine Sorte Lebensmittel und packt sie in die jeweilige Kiste. Die Stimmung ist fröhlich und effizient – trotz Maske, die trotz weit geöffneter Fenster getragen wird.

Der Fahrer Daniel fährt die Lebensmittelkisten zu einzelnen Kirchengemeinden.
Der Fahrer Daniel fährt die Lebensmittelkisten zu einzelnen Kirchengemeinden. Foto © Carolin Haist

„Diese Kiste fiel vom Himmel.“

Mittlerweile sind nicht einmal drei Stunden vergangen. Die letzten Tüten Reis landen in den Kisten.  Jede einzelne wiegt etwas mehr als 20 Kilogramm und ist vollgepackt mit Lebensmitteln. Plötzlich hupt es vor dem Tor. Ein Auto steht dort. Daniel steigt aus. Er ist der Fahrer. Die Damas begrüßen ihn herzlich. „Wir kennen Daniel sehr gut und vertrauen ihm. Er arbeitet an der Deutschen Schule Quito und verbringt seine Freizeit unter anderem damit unsere Lebensmittelkisten zu verteilen“, erklärt Beatriz Schlenker. Die Luft füllt sich mit Benzingeruch während er die Kisten in den laufenden Bus lädt. Zehn Minuten später ist er auf dem Weg.

Freude und Dankbarkeit herrscht bei jeder Übergabe einer Lebensmittelkiste. Foto © Jürgen Haist

Die Pfarrer der Gemeinden wissen am besten Bescheid, wer nichts mehr zu Essen hat, wer ein Kind bekommen hat, oder wegen Gehbeschwerden nicht mehr aus dem Haus kann. Sie wissen, wie es ist, wenn kein Geld und damit auch kein Essen da sind.

Daniel fotografiert die Übergabe. Schon kommt die erste Dorfbewohnerin, die per Kirchenglocke über die Ankunft der Spenden informiert wurde. Sie freut sich über die ihre Kiste, nun hat sie zwei Wochen lang alles, was sie braucht. Für sich, ihren Mann, ihre Kinder. „Se me cayo del cielo, esta caja!“, sagt sie und geht, zufrieden. „Diese Kiste fiel vom Himmel.“

Weiterführende Links

Weiße FlaggenNahrung in EcuadorGran Aki

Tumbaco, Ecuador – 24.10.2020, 18:57 Uhr – Ralf Biebeler / Benita Schauer


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